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Verbreitung von Drachenmythen |
Ostasien
Die ältesten ostasiatischen Darstellungen drachenähnlicher Mischwesen stammen aus dem chinesischen Raum. Die neolithischen Kulturen am gelben Fluss hinterließen Objekte aus Muscheln und Jade, die Schlangen mit Schweinen und anderen Tieren kombinieren. Ab der Shang-Dynastie (15.–11. Jh. v. Chr.) symbolisierte der Drache die königliche Macht, und die Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) legte seine Form fest. Der chinesische Drache Long ist der wichtigste Ursprung fernöstlicher Drachenvorstellungen: Seit der Song-Dynastie (10. Jahrhundert n. Chr.) übernahm der Buddhismus das Mischwesen und verbreitete es im gesamten ostasiatischen Raum.
Der chinesische Drache hat eine positivere Bedeutung als sein westliches Gegenstück. Er steht für den Frühling, das Wasser und den Regen. Da er die Merkmale von neun verschiedenen Tieren in sich vereint, ist er nach chinesischer Zahlenmystik dem Yang, dem aktiven Prinzip, zugeordnet. Ferner vertritt er eine der fünf traditionellen Arten von Lebewesen, die Schuppentiere, und im chinesischen Tierkreis ist er das fünfte unter zwölf Tieren. Der Drache der chinesischen Volkserzählungen besitzt magische Fähigkeiten und ist überaus langlebig: Jahrtausende kann es dauern, bis er seine endgültige Größe erreicht. Als Kaisertier hat er fünf Klauen und ist von gelber Farbe. Das Duo Drache und Phönix repräsentieren seit der Zeit der streitenden Reiche den Kaiser und die Kaiserin. Dem gebieterischen und beschützenden Drachen der Mythologie steht aber auch der unheilbringende Drache der chinesischen Volksmärchen gegenüber. So ist der Drache in China kein durchweg positives, sondern ein ambivalentes Wesen.
Der Drache spielt eine große Rolle in der chinesischen Kunst und Kultur: Es gibt Skulpturen aus Granit, Holz oder Jade, Tuschezeichnungen, Lackarbeiten, Stickerei, Porzellan- und Keramikfiguren. Drachenmythen und Rituale sind schriftlich bereits im I Ging-Buch aus dem 11. Jh. v. Chr. überliefert, und die Frühlings- und Herbstannalen schildern Drachenzeremonien, die Regen herbeirufen sollten. Auf die Prä-Han-Zeit geht das Drachenbootfest in seiner heutigen Form zurück, Drachentänze und Prozessionen gehören auch zum chinesischen Neujahrsfest und zum Laternenfest. Das Feng Shui berücksichtigt den Drachen beim Häuserbau, Gartengestaltung und Landschaftsplanung, und die chinesische Medizin kennt Rezepte aus Drachenknochen, -zähnen oder Drachenspeichel; Ausgangsstoffe dafür sind zum Beispiel Fossilien oder Reptilienhäute.
Der thailändische Mang-gon, die Drachen in Tibet, Vietnam, Korea, Bhutan oder Japan haben chinesische Wurzeln, die sich mit lokalen Traditionen vermischt haben. Einige Elemente fernöstlicher Drachenkulte lassen daneben auch Parallelen mit den Nagas erkennen, den Schlangengottheiten der indischen Mythologie. So verfügen die Drachen aus japanischen und koreanischen Mythen oft über eine Fähigkeit zur Metamorphose: Sie können sich in Menschen verwandeln, und Menschen können als Drachen wiedergeboren werden. Die Hochachtung vor den Herrschern über das Wasser brachte es mit sich, dass der Tennō eine Abstammung vom Drachenkönig Ryūjin für sich in Anspruch nahm. Ebenso führten die koreanischen Könige ihre Ahnenreihe auf Drachengottheiten zurück. Eine besonders starke lokale Überlieferung hat das Drachenbild in Indonesien geprägt: hier ist das Fabelwesen im Gegensatz zu China weiblich und beschützt die Felder zur Erntezeit vor Mäusen. Über Kinderwiegen werden Drachenbilder aufgehängt, um dem Nachwuchs einen ruhigen Schlaf zu sichern.
Einer der Drachen auf der Neun-Drachen-Wand im Beihai-Park, Peking. 1756, glasierte Kacheln
Ein indonesisches Fahrrad in Drachenform
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